Endlich geht es los. Apollo macht zusammen mit Luisa, die ihn am Halfter führt, den Anfang. Nach und nach reiht sich ein flauschiges Tier nach dem anderen mit „seinem“ Menschen ein. Am Ende sind es zehn Paare auf Zeit, die durch die Straßen der 120-Seelengemeinde Schönborn auf einen Feldweg zusteuern. Die auf den ersten Blick außergewöhnliche Karawane im Nordpfälzer Bergland überrascht im Dorf nur noch fremde Besucher. Denn für Einheimische gehören die Vierbeiner längst mit zur Dorfgemeinschaft. Schließlich hat die Alpaka Farm Donnersberg bereits im Dezember 2022 begonnen, Touren zu organisieren. Das Motto lautet bis heute unverändert: „Wandere auch du dich glücklich!“
Für Nadja Müller, die zusammen mit ihrem Mann Holger die Farm betreibt, „sind die Alpakas ein beruflicher Neustart“. Und mittlerweile, obwohl die Farm zusammen mit dem normalen Job für Sieben-Tage-Arbeitswochen ohne Pausen sorgt, ihre ganz große Leidenschaft. Die Diplom-Betriebswirtin, die zudem die Ortsbürgermeisterin von Schönborn ist, trug die Idee schon lange mit sich herum. Anfang Juli 2022 ergab sich die Chance zur Realisierung. Nach Gesprächen mit Nachbarn, Freunden und Familie fiel die Entscheidung ganz schnell. Zusammen mit einem Partner wurde kurzerhand eine Gesellschaft gegründet und dann gleich losgelegt. Schon Ende Juli waren die ersten vier Alpakas in Schönborn. Ziemlich schnell folgten vier weitere Jungtiere. Heute umfasst die Herde insgesamt 13 Alpakas.
Ein Pfiff genügt. Ohne zu zögern galoppieren Apollo, Brunello, Pinsel, Watson und Co. über ihre Weide an den Zaun. Nadja und Holger Müller öffnen dort einen Durchlass, damit die Tiere die Straße überqueren. Durch die Koppel auf der anderen Seite führt der Weg direkt in den sogenannten Catch Pen, einem mit einem Zaun umschlossenen Arbeitsbereich der Tiere. Mit ihren großen, dunklen Augen werfen sie hier den vor dem Zaun freudig wartenden Menschen neugierige Blicke zu. Währenddessen lassen sich die Alpakas willig ihre Halfter anlegen. Sie helfen später dabei, die Tiere zu führen.
Ursprünglich stammen Alpakas aus Südamerika. Es handelt sich um eine domestizierte Kamelart. Mit Huacaya und Suri existieren zwei Typen, die sich in der Fellstruktur unterscheiden. Gezüchtet werden sie vor allem wegen ihrer Wolle. Die Fellfarben sind breit gefächert. Sie reichen von Weiß über Beige, Braun oder Rotbraun bis zu Grau und Schwarz. Charakteristisch sind schlanke Beine, ein dünner, langer Hals und ein pyramidenförmiger Kopf. Wie alle Kamele gelten Alpakas als Herdentiere, die sich in Gruppen am wohlsten fühlen. Alpakas fressen ausschließlich Pflanzen – vor allem Gräser. Zähne haben sie nur unten, denn oben sorgt eine Kauplatte dafür, dass das Grün quasi schonend gerupft wird.
„Wenn er grast, ist er ganz entspannt“, erklärt Nadja Müller, die Apollo am Halfter ganz locker hält. Bevor die Wanderungen beginnen, steht immer das Kennenlernen der Tiere auf dem Programm. „Die Alpakas sollen unsere Freunde werden“, bittet Nadja Müller die Gäste darum, „nicht laut und hektisch“ zu sein. Wenn sich Menschen auf die Tiere einlassen, so ergänzt sie, werden selbst Alpakas, die eigentlich Distanztiere sind, sehr nahbar. „Man muss auch ein Gespür für die Menschen haben“, erzählt sie, während die einzelnen Alpakas den Wanderern zugeteilt werden. Mir wird Watson an die Seite gestellt – ein im August 2021 geborener knuffiger Kerl, der sich schnell als zutraulich erweist. Mit ihm darf ich mich nun, wie einst Sherlock Holmes mit Dr. Watson, auf Spurensuche begeben. Allerdings geht es nicht um rätselhafte Fälle, sondern einzig und allein um Entspannung.
Diese suchen zusammen mit dem Erlebnis von Tier und Natur alle, die ein Alpaka-Abenteuer buchen. Sie sind zu bestimmten Terminen zusammen mit anderen Wanderern oder aber als individuelle Gruppentour ganzjährig möglich. Die Bandbreite reicht vom Betriebsausflug über den Familienausflug, Kindergeburtstag oder Junggesellenabschied bis zu Teambuilding-Maßnahmen. Ganz gleich in welcher Konstellation, den Abschluss bildet – natürlich mit Blick auf die Tiere – ein gemütlicher Aufenthalt in der Alpakastube mit Terrasse. „Wir haben mehr Erwachsene als Kinder, die wandern gehen“, berichtet Nadja Müller. Ganz gleich, ob die kurze Runde mit etwa 1,5 Stunden oder die lange mit 2,5 Stunden, eines steht immer im Vordergrund: das Wohl der Tiere. Auf Wanderschaft schickt Nadja Müller ihre Alpakas deshalb maximal einmal am Tag. Und wenn es im Sommer heiß ist, geht es früh morgens los.
Mittlerweile grasen alle zehn Alpakas entspannt. Das „Freunde werden“ hat ziemlich schnell funktioniert. Luisa mit Apollo setzt sich zuerst in Bewegung. In einer festen Reihenfolge, aufgerufen von Nadja Müller, schließen sich die frisch gebildeten „Mensch-Tier-Paare“ nach und nach an. Schon nach wenigen Metern findet sich der Rhythmus mit den sanften Alpakas. Ruhigen Schrittes geht es mit Ausblicken auf den Donnersberg und Fernsichten bis weit in den Taunus und den Hunsrück weiter. Im Schatten eines kleinen Waldes heißt es Stopp. Jetzt dürfen Apollo, Brunello, Pinsel, Watson und Co. grasen. Als zusätzliche Belohnung gibt es Trockenfutter, das Nadja Müller vor dem Start in Papiertüten an alle verteilt hat. Die Alpakas fressen es ihren zweibeinigen Wanderpartnern mit der weichen, feuchten Schnauze im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand.
Bis zu 15 Zentimeter dick wird das Fell von Alpakas. In den Anden, vor allem in Peru, Bolivien und Chile, kann es in 3000 und 4000 Metern Höhe schließlich richtig kalt werden. Als einzige Kamelart haben sie keinen jahreszeitlichen Fellwechsel. Die Tiere werden deshalb einmal jährlich geschoren. In Schönborn war dies Ende Mai der Fall. Die Pflegeschur dient einerseits zur Regulation des Wärmehaushaltes in der heißen Jahreszeit. Andererseits wird so die Rohwolle gewonnen, die zu hochwertigem Alpakagarn, einer weichen, seidig-glänzenden Naturfaser, verarbeitet wird. „Pro Tier kommen wir auf zwei bis drei Kilo Wolle“, berichtet Nadja Müller. Sie lässt das Material von einer darauf spezialisierten Firma zu Bettlaken oder Kissen verarbeiten.
Die Karawane biegt nun wieder Richtung Farm ab. Die Alpakas bekommen von „ihren“ zweibeinigen Weggenossen nochmals Trockenfutter als Belohnung. Danach geht es, im Catch Pen wurden die Halfter abgenommen, zurück auf die Koppel. Während die Wanderer auf der Terrasse den Durst löschen, laufen die Alpakas freudig auf Nadja Müller zu. Diese sorgt nämlich mit Wasser aus einem Schlauch auch bei den Vierbeinern für Erfrischung. In einer „Badewanne“ mitten im Grün lassen es sich die Alpakas gut gehen. Danach grasen oder dösen Apollo, Brunello, Pinsel, Watson und Co. unter Bäumen. Schon bald wird es soweit sein, dann heißt es wieder: Endlich geht es los.
Weitere Infos: www.alpaka-farm-donnersberg.de
Text: Michael Dostal